Archiv der Kategorie: Gelesen

Was ich gelesen habe

Karin schweigt, und Friedhelm furzt.

„Urlaub mit Esel“ will Karin mal einmal nicht machen, und schickt ihren Björn deshalb in die Uckermark. Alleine. Wir ahnen: Sie hat mit ihm die Krise, und er es nicht gemerkt. Das soll die Reise ändern.

Mit vielen Klischees über die Uckermark, die Heimat Angela Merkels, beginnt das Unternehmen und damit eben auch Björns Geschichte. Wir reisen mit ihm, haben genau seine Vorbehalte gegen den Trip, seine Vorurteile gegen die Gegend und seine Probleme mit Friedhelm. Der ist nämlich sein störrischer Wegbegleiter. Bockend und furzend. Ja, da schreibt Gantenberg echten Slapstick.

Das Bemerkenswerte an diesem Buch ist wieder mal das Markenzeichen des Autors: Mit viel Humor transportiert er tiefere Einsichten. Ohne kitschig oder gefühlsduselig zu werden. Das besorgen vor allem bedrückend echte Mails und SMS zwischen zwei Partnern, die an verschiedenen Stationen ihrer Ehe angekommen sind und nurmehr zwischen den Zeilen kommunizieren. Der eine verzweifelt schwafelnd, die andere resigniert kühl. Dazwischen Uckermark und Ungewissheit. Karin schweigt, und Friedhelm furzt. weiterlesen

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Dagegen! Dagegen! Dagegen!

Irgendwie ist grad nicht ganz klar, wohin die Reise geht in Deutschland. Es scheint nur für immer mehr Leute klar zu sein, wohin sie nicht geht. Deutschland 2011 im Gefühl “Gegen vieles dagegen, für nichts dafür” – so mein Eindruck, den ich für WDR 4 auf den Punkt gebracht habe:

Dagegen, dagegen, alle sind immer nur dagegen. Gegen Atomkraft sind beinahe alle. Jetzt. Vorher waren übrigens auch die meisten schon gegen Atomendlager, auch die, die damals noch für Atomkraft waren, als das alles noch viel sicherer war. Vor gefühlt sechs Wochen. Dagegen! Dagegen! Dagegen! weiterlesen

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Lesebefehl: „Zwischen allen Wolken“ – ein Buch wie ein Inselurlaub

Mehrere tragische Todesfälle, schräge Charaktere, eine Liebe ohne Happy-End – und doch ist „Zwischen allen Wolken“ ein wunderbares Sommerferienbuch.

100626_gantenberg_cover220Michael Gantenberg erzählt in seinem zweiten Roman die Geschichte einer Abiturientin auf einer kleinen Nordseeinsel. Da braucht man doch nicht 326 Seiten für, möchte man denken. Doch doch, wenn man so skurrile Verwandte hat wie Gesa und neben dem Abitur das Leben grad absurde Volten schlägt, dann sind 326 Seiten gerade genug.

Ihr Bruder stirbt und bleibt dennoch bei ihr, sie bekommt einen neuen Opa, Oma bekämpft als Wattfee zwischen Sand- und Mischwatt unerfüllte Kinderwünsche, Mutter entdeckt ihre mütterlichen Gefühle für eine Ente namens Jean-Pierre, Papa hält es nicht mehr aus, und Tante Nele hat ihre ganz eigene Art, auf der Ferieninsel Patienten zu aquirieren. Ein höchst unterhaltsames Gespann, das da auf Nördrum sein Dasein zwischen Strandkörben und Rührei zum Frühstück fristet. Und doch weit entfernt von Figuren-Holzschnitt à la Ohnsorg-Theater.

Mit welcher emotionalen Wärme, Liebe zum Detail  und gewitzten Psychologie Gantenberg seine Figuren zeichnet: ein Lesegenuss zwischen Schmunzeln, lautem Lachen und trauriger Anteilnahme. Wie sich dieser erwachsene Autor weit jenseits der Pubertät einfühlt in die Gefühls-Zwickmühlen einer 18-jährigen, trauernden Verliebten, die mitten im Bio-Lernen-Abistress auch noch immer mehr Verantwortung für den Familienbetrieb bekommt, das beeindruckt. Dabei wird er nie gefühlsduselig oder kitschig, trifft immer den richtigen Ton.

„Zwischen allen Wolken“ von Michael Gantenberg ist im Fischer Verlag erschienen und kostet 14,95.

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Schrille Tage im Klischee

Ich liebe Krimis. Gedruckte wie verfilmte. Dabei dürfen die gerne aus Schweden, Dänemark, England, Venedig, Schottland sein – oder auch aus Deutschland. Doch genau bei einer Untergattung der Letztgenannten hab ich zunehmend Probleme: Warum bitte müssen Regionalkrimis immer eine Spur überdrehter, platter, klischeeiger sein als alle anderen?

Für 1,99 € das Stück gibts bei Aldi Nord grad Regionalkrimis aus ganz Deutschland. Da hab ich mich mal wieder mit ein paar davon eingedeckt. Okay, mögen Sie sagen, wer seine Bücher beim Discounter vom Grabbeltisch kauft, sollte nicht zu viel erwarten. Aber bitte: Das sind ja alles Neuauflagen bereits vorher bei renommierten Verlagen erschienener Werke. Also erwarte ich schon ein bisschen Anspruch. Schrille Tage im Klischee weiterlesen

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Schreiben über Kochen II: Aus dem Leben einer Restaurant-Kritikerin

ruthreichl200„Der König von Spanien wartet an der Bar, aber Ihr Tisch ist fertig!“ Und diesen Satz meinte der Kellner tatsächlich ernst!

Gesagt wurde er zu Ruth Reichl, der damals neuen Restaurant-Kritikerin der New York Times, die wohl wichtigste Person für die Betreiber guter Küchen – mit der Linzenz zum Vernichten. Da musste der spanische König tatsächlich noch an der Bar auf einen freien Tisch warten…

Doch wie ernst kann man Essen und Service nehmen, wenn die ganze Belegschaft genau weiß, wie wichtig der Gast ist? Müsste da nicht die Kritik eigentlich aus der Perspektive eines ganz normalen Gastes geschrieben werden, eines unerkannten Einflusslosen? Dachte sich auch Ruth Reichl, als sie schon vor Antritt ihrer Stelle in New York erfuhr, dass ihr Foto bereits hinter jedem Restauranttresen der Stadt lag. Zur Sicherheit… Schreiben über Kochen II: Aus dem Leben einer Restaurant-Kritikerin weiterlesen

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Schreiben über Kochen I: Kriegsberichte von der Küchenfront

„Kochen ist Krieg“: So hat Gregor Weber sein erstes Buch überschrieben. Ein griffiger, appetitmachender Titel, der wohl allzuoft zutrifft, wenn man Kücheninsidern glauben darf. Ein Krieg gegen die Uhr, gegen die Sonderwünsche besonders schwieriger Gäste, gegen alle Unwägbarkeiten der Zubereitung frischen Essens.

In diese Gemengelage hat sich der Schauspieler Gregor Weber gewagt (bekannt als Tatort-Kommissar aus Saarbrücken und früher als Sohn Stefan der Familie Heinz Becker) – als Lehrling. Als es grad nicht so gut lief mit der Schauspielerei, absolvierte er eine Koch-Lehre im renommierten Restaurant VAU in Berlin – bei „Lanz kocht“-Star Kolja Kleberg.

Was er da gelernt hat über das Innenleben einer Sterneküche, half ihm nun für seine Küchenreportagen. Zunächst öffnete ihm das sicher die eine oder andere Tür, als er anfragte, ob er nicht für ein paar Tage ein Praktikum machen könne. Ganz unterschiedliche Küchen ließen ihn rein: von der Fregatte Mecklenburg-Vorpommern bis zum Amtssitz des Bundespräsidenten. Schreiben über Kochen I: Kriegsberichte von der Küchenfront weiterlesen

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„Wir Abnicker“ – ein MdB über eigene Macht und Ohnmacht

100310_abnicker„Wir Abnicker“: Unter diesem Titel hat der Dortmunder Bundestagsabgeordnete Marco Bülow jetzt ein Buch veröffentlicht. Ein Buch „über Macht und Ohnmacht der Volksvertreter“, so der Untertitel.

So setzt sich Bülow z.B. mit dem Einfluss von rund 10.000 Lobbyisten auseinander, die in Ministerien und bei den 622 Abgeordneten des Bundestages mit viel Geld und Aufwand ihre Interessen durchsetzen wollen.

In der WDR Lokalzeit aus Dortmund haben wir das Thema „Lobbyismus“ mit den wichtigsten Fakten aufbereitet und Marco Bülow zum Thema befragt. In der Mediathek gibt es Film und Interview nochmal zum Anschauen.

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Ja, er kann es noch: Grisham zum 21sten

090924_grisham200Er ist immer noch der Alte – und das ist ausdrücklich als Lob gemeint: Wer geblaubt hatte, John Grisham gingen langsam die juristisch motivierten Substantive aus, der sieht sich getäuscht. Auch wenn er bei „Berufung“ jetzt zum ersten Mal ohne den bestimmten Artikel daher kommt – nach Titeln wie „Die Akte“, „Die Jury“, „Der Richter“, „Die Begnadigung“ und natürlich „Die Firma“.

Da waren viele brillante Titel bei, die ihresgleichen suchen. Ganz so genial, packend, mitreißend, hungrig machend auf den nächsten ist dieser Grisham sicher nicht. Und doch: Englisch nennt man ein Buch wie „Berufung“ wohl Pageturner – es zieht einen rein und man blättert fast wie in Trance immer weiter, bis es (leider) zu Ende ist. Das schafft er auch beim 21. von inzwischen 22 Romanen immer noch.

Worum gehts? Um den Kampf der kleinen Leute, die unter den Sauereien der Großkonzerne leiden. Brisant in Zeiten der Wirtschaftskrise. Da hat ein Chemiekonzern über Jahre das Grundwasser einer ganzen Stadt vergiftet, die leidet nun unter der höchsten Krebsquote der ganzen USA. Deswegen verklagen die Opfer den Konzern – und gewinnen. In der ersten Instanz. Das Kapital setzt auf die Berufung – und will sich dafür das Gericht kaufen. Eine ebenso einfach gestrickte wie beängstigend realistisch anmutende Story – doch man muss dem Juristen unterstellen, dass er gut recherchiert hat und weiß, wovon er schreibt. Ja, er kann es noch: Grisham zum 21sten weiterlesen

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Carneval mal wörtlich genommen

„Dem Fleisch adé sagen“, das heißt Carneval ja übersetzt. Craig Russells Titel für seinen in Köln spielenden Krimi ist programmatisch gemeint. Denn es geht um wörtlich genommene Fleischeslust im übelsten Sinn.

Das sind interessante Zutaten, aus denen der Schotte Russell diesen kriminalistischen Eintopf zusammenrührt: Ein sympathischer Kommissar in der Lebenskrise (hin- und hergerissen), eine traumatisierte Ermittlerin (zu allem bereit), einen ukrainischen Verbrecherboss (zu allem fähig) und einen kannibalischen Clown (hungrig vor allem an Weiberfastnacht). Carneval mal wörtlich genommen weiterlesen

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