„Menschen sind billiger“

“In eisiger Nacht” von Tony Parsons beginnt mit zwölf toten Frauen. Passend zum Titel erfroren. Und das sind die genauen Umstände der Auffindesituation:

Kühllaster. Ladefläche. Gefrierstufe eingeschaltet. Mitten in Chinatown in London. Da liegen zwölf tote junge Frauen. Aneinandergeklammert, Nähe und Wärme suchend – offenbar in dem Bewusstsein, dass sie sie nicht mehr finden werden. Ein grausiges Bild, das sich Detective Max Wolfe da bietet. Klar ist: Die Frauen sind offenbar illegal ins Land gekommen. Darauf deuten auch die gefälschten Pässe aus süd- und osteuropäischen Ländern hin, die im Lkw liegen. Dass sie für Bordelle bestimmt waren, liegt nahe. Aber: Wer steckt dahinter? Wer degradiert junge, verzweifelte Frauen zu Frischfleisch? Und auf welchem Weg werden sie eingeschleust?

Krimitipp auf WDR 2: Das Gespräch zu „In eisiger Nacht“ mit Thorsten Schorn

Menschenhandel in Europa 2018

Einschleusen, das ist ein Schlagwort, das nicht nur mit illegaler Prostitution zu tun hat. Tony Parsons geht in seinem Buch weiter. Es geht ihm um das System des Menschenhandels in Europa 2018. Also auch ums Schleusen von Flüchtlingen und von Migranten, die auf den legalen Wegen keine Chance haben, in das Land ihrer Träume zu gelangen. Detective Wolfe und seine Kollegen ermitteln auch drüben in Frankreich in einem Flüchtlingslager an der Grenze. Und drumrum. Die erleben das als Ort der Gesetzlosigkeit und der Unmenschlichkeit.

Recherche + Eindrücke + Vorstellung = Literatur

Parsons hat da viel drüber gelesen, auch selbst recherchiert. Er sagt, er kombiniere als Schriftsteller Recherche, eigene Eindrücke und seine Vorstellungen. Wir lesen ja kein Sachbuch, sondern Fiktion. Eine Fiktion, über der die sehr reale Frage steht, ob wir in den reichen Ländern Europas bestimmen dürfen, wer zu uns kommen darf, und wer nicht. Und da beschreibt er eine Szene, die er tatsächlich erlebt hat – und die es auch ins Buch geschafft hat.

In der passiert folgendes: Der Detective kommt mit seinem völlig verschlammten Wagen zurück nach England und stellt fest: Die Waschanlagen laufen nicht mehr. Stattdessen waschen zwölf, fünfzehn Männer aus dem Irak, Afghanistan und Somalia die Autos von Hand. Und als er fragt, was mit den Waschanlagen passiert ist, sagt ihm der Betreiber: “Menschen sind billiger”.

Ein Debattenbeitrag, der mit jedem von uns zu tun hat

Zumindest bestimmte Menschen. Für mich eine der Szenen, die zeigen: Das ist nicht einfach nur ein Krimi. Sondern ein Stück Literatur, das mich nachdenken lässt. Ein Debattenbeitrag. Ich muss da gar nicht in allem mit dem Autor übereinstimmen. Aber ich fühle mit Detective Wolfe und seine Kollegen. Die stehen nämlich mittendrin zwischen Grenzen dicht, englisches Recht durchsetzen und verzweifelten Menschen, die zu Opfern werden. Und im Lauf der Handlung merke ich immer mehr: Das hat auch mit mir und mit Ihnen und mit jedem Einzelnen von uns zu tun.

Tony Parsons
In eisiger Nacht
Verlag: Bastei Lübbe
ISBN: 978-3404176212
Preis: 15,00 €

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