… weil dich hier kein Schaum erschlägt. – So beginnt die neue Ruhrgebiets-Hymne, die Herbert Grönemeyer heute bei der RUHR.2010-Eröffnung in Essen vorgestellt hat. Und die – hören Sie mal genau hin – zunächst ein bisschen klingt wie „Glückauf, der Steiger kommt“.
Toller Song, Ohrwurmcharakter – auch wenn man (Herbert-typisch) nicht sofort alles versteht. Akustisch. Wer’s dann nachliest, stellt fest: Ja, auch er spielt natürlich mit den Klischees, aber künstlerisch, lyrisch, verpackt sie einfach besser als andere. Und, seien wir ehrlich, irgendwo müssen die Klischees ja herkommen, ein wahrer Kern wird schon drin sein.
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Es ist ein bisschen wie „Bochum 2.0″, dieses „Komm zur Ruhr“. Eben moderner, weg vom Kirchturmdenken, hin zur Region, meinetwegen auch zur „Metropole Ruhr“.
Textvergleich im Einzelnen:
- Erstmal örtliche Einführung: Aus „Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt“ wird „Wo ein rauhes Wort dich trägt“. Eins zu Null für den neuen Text. Poetischer. Und wahrer, denn die Sonne verstaubt nicht mehr, aber „Hömma, du Kackbratze“, das hört man hier immer noch.
- Materielles ist hier nicht so wichtig, innere Werte zählen. Bei Bochum hergeleitet über den Kontrast zu Düsseldorf („Hier wo das Herz noch zählt, nicht das große Geld“), im neuen Text klingt das verspielter: „Wo man nicht dem Schein erliegt, weil man nur auf Sein was gibt“. Die Wos sind geblieben. Punkt geht hier an den Ursprungstext, der passt besser zu uns, ist erdiger.
- Düsseldorf bekommt auch im neuen Song einen mit. Aber weil Herbert 2010 regional denkt und nicht mehr in Stadtgrenzen, nimmt er den namensgebenden Fluss des Rheinlandes: „Dass der Rhein sich neu genießt, liegt an diesem Glücksgebiet. Alles fließt alles von hier.“ Hübsch. Punkt.
- Ruhrpottschnauze muss sein: „Bist ne ehrliche Haut“, dafür braucht er im neuen Text zwei Zeilen: „Wo man gleich den Kern benennt und das Kind beim Namen kennt“. (Heißt es nicht übrigens „das Kind beim Namen nennen“ und nicht „kennen“? Dichterische Freiheit? Oder verrutschte poetische Ader? Egal.) Noch ein Punkt für Bochum. Wegen der Knappheit.
- Erinnerung an die montanen Wurzeln, sie kommt noch vor: „Jeder kommt für jeden auf, in Stahl gebaut“, in einem nicht-mal Nebensatz. Apposition, oder? Bei Bochum war da noch vom „Pulsschlag aus Stahl“ die Rede, den man „laut in der Nacht“ hören konnte. Aber die Zeiten sind bis auf Duisburg im Revier ja nunmal vorbei. Und nen Pulsschlag aus IT-Centern klingt einfach … – eben! Punkt für den neuen Song, das hat er prima gelöst. (Das Grubengold hat er übrigens gleich ganz weggelassen.)
- Und dann natürlich der Fußball. 1984 konnte er dem VfL Bochum huldigen, 2010 gibt es mit Schalke, Dortmund, Bochum, Duisburg, Wattenscheid, Essen mindestens sechs Revierclubs, die sich gerne verewigt sähen. Ein schlichtes „ballverliebt“ in der elften Zeile hakt das Thema ab. Sonderpunkt für Mut.
- Neu dabei ist jetzt das Miteinander, das „Meltingpott Kohlenpott“, das EU-Kommissionspräsident Barroso auch beschwor. „Jeder kommt für jeden auf“, wünscht er sich da. Oder stellt fest: „Wo woher kein Thema ist. Man sich mischt und sich nicht misst.“ Schön gesprochen.
- Und was fehlt? Naja, die Zeile „Du bist ständig auf Koks“ aus Bochum hätte er sich diesmal nicht erlauben dürfen, wenn die BILD-Zeitung aus einem (wie ich fand, durchaus gelungenen) Gag eines Radiomoderators über den vermeintlichen Zusammenhang zwischen Künstlern und Schnee schon einen Skandal konstruiert. Und da der Song eh mit ner Länge von über 6 Minuten eher geschwätzig und leider wenig formatradiotauglich geworden ist, soll’s auch mal gut sein. Aber ne Hymne darf das.
Fazit: Eine würdige Hymne für die Region. Einladend, treffend, ins Ohr gehend. In der guten Tradition eines Evergreens.