Ein Buch wie ein Sturm an der See

Das Buch spielt am Meer, am Strand. Und ist doch alles andere als ein Sommerbuch. „Meine Seele so kalt“ ist der Debütroman der Britin Clare Mackintosh und hat auch mich begeistert. Auf WDR 2 habe ich es im Gespräch mit Jürgen Mayer vorgestellt.

Dieses Buch – und da bleiben wir beim Thema Meer und Strand – ist wie ein Sturm an der See. Das fängt vergleichsweise klein und leise an mit etwas Wind und dunklen Wolken, schwillt immer weiter an, man ahnt noch gar nicht die Dimensionen, irgendwann braust und tobt es um dich herum – und am Ende ist Stille. Ruhe. Aber nicht unbedingt Frieden.

Wer fuhr den fünfjährigen Jacob tot?

Es beginnt mit einem tödlichen Unfall. Ein fünfjähriger Junge wird totgefahren. Fahrerflucht. Plötzlich ist auch die Mutter weg. Warum? Schwarzblende. Umschnitt auf Jenna Gray, die den Tod ihres Sohnes nicht verkraften kann. Sie lässt ihr Leben als Bildhauerin hinter sich und geht ans Meer. In ein kleines Kaff mit Strand und Campingplatz in Wales. Sie trifft hier auf sehr hilfsbereite Menschen. Und findet eine neue Berufung: Sie malt Botschaften in den Strand, die sie fotografiert und verkauft. Das klingt jetzt hier genau so meditativ, wie es sich im Roman liest. Und Jenna scheint wirklich zur Ruhe zu kommen. Die ist aber nur eine von drei Hauptfiguren dieses Romans.

Eine Frau, ein Mann – Misshandlung

Zu dieser zutiefst verletzten, verunsicherten, aber nicht gebrochenen Frau kommt ein Mann, der Spaß daran findet, Frauen genau so werden zu lassen. Eben verletzt, verunsichert, am besten gebrochen. Der daran wächst, wenn er andere erniedrigt. Und dann ist da noch ein Kommissar, der wissen will, wer den kleinen Jacob totgefahren hat. Da muss man sich am Anfang dran gewöhnen, dass wir zwischen diesen Figuren springen: Zweimal Ich-Perspektive, einmal allwissender Erzähler, wenn wir mit der Polizei ermitteln. Aber es ist so viel unmittelbarer. Denn da lese ich Verzweiflung und Zweifel bei der einen, Hass und Perversion bei der anderen Person direkt. Ohne Umweg. Um so mehr kann ich mitfühlen und verachten.

Zwei ganz verschiedene, kalte Seelen

Denn ich blicke in zwei kalte Seelen. Kalt aus ganz unterschiedlichen Gründen, auf so unterschiedliche Weisen. Da ist die eine Seele. Jennas. Deren Kälte bleibt in ihr. Richtet sich gegen sich selbst. Tendenz Selbstzerstörung. Und da ist die Seele des Mannes. Die ist so kalt, dass andere, die ihr zu nahe kommen, gleich mit gefrieren. Und das scheint ihr einziger Lebenszweck zu sein. Das tut an einigen Stellen richtig weh, es zu lesen. Weil mir dabei klar wird: Viele Frauen erleben genau solche Typen der Sorte widerwärtig Tag für Tag – und können nirgendwo hin flüchten. Da ist kein Strand. Ich hab das Buch im Januar gelesen, als Deutschland nach der Silvesternacht in Köln gerade über Gewalt gegen Frauen diskutierte.

Es ist sowas wie das Psychogramm eines Täters. Und eines Opfers. Ein Kammerspiel der Seelen. Denn ganz viel Handlung findet in den Figuren statt.

Clare Mackintosh verarbeitet eigene Erfahrungen

Die Autorin, die uns in diese Seelen mitnimmt, ist Clare Mackintosh, Britin. Sie war 12 Jahre Polizistin, hat dann aber neue Herausforderungen gesucht – und wurde Journalistin. Im Polizeijob hat sie einen ähnlichen Fall wie diese Unfallflucht im Roman erlebt. Und hat Jahre später selbst eines ihrer Kinder verloren. Diese Doppelperspektive Ermittlerin und Mutter, die funktioniert wahrscheinlich hier auch deshalb so unglaublich gut, dass alleine über 400.000 Briten das Buch gekauft haben.

Autorin: Clare Mackintosh
Titel: Meine Seele so kalt

Verlag: Bastei Lübbe
ISBN: 978-3404172924
Preis: 9,99 Euro

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