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Wir Journalisten und die Katastrophe

Dortmund am 26. März 2015: Seit Dienstagmittag beschäftigt uns in der Dortmunder WDR-Redaktion hauptsächlich ein Thema. Und die Beschäftigung hört nicht auf, wenn wir nach Hause gehen. Nicht im Kopf, nicht im Gespräch, nicht im Herzen. Einige Gedanken dazu, die im Laufe dieser Tage entstanden sind:

1. Nein, auch wir beim WDR machen nicht alles richtig. Nicht instinktiv, nicht immer im Eifer des Gefechts. Aber ich glaube, wir haben hier deutlich mehr richtig gemacht als manche andere Medien. Respekt vor den Angehörigen der Absturzopfer und dem Andenken der Verstorbenen stand immer an erster Stelle. Distanz zu wahren auch. Ja, wir wollen gerne „nah ran“ an die Menschen, über die wir berichten. Das bringt das Medium Fernsehen so mit sich. Aber nur, wenn sie das auch wollen. Und nicht um den Preis ihrer (und unserer) Würde.

2. Ja, ich finde es richtig, dass wir in diesem Umfang berichtet haben. Was passiert ist, ist ein großes Unglück mit großer Nähe zu den Menschen in NRW. Viele Bekannte haben mir in den letzten Stunden gesagt, dass sie direkt oder über Ecken Opfer kannten. Sie waren betroffen, hatten das Bedürfnis nach Informationen, auch darüber zu reden. Wir als Landessender in NRW haben hier Zuschauern und Hörern zu jeder Zeit die Möglichkeit gegeben, sich über den Stand der Dinge, über Reaktionen zu informieren. Aber auch in den Dialog zu treten, über menschliche Fragen, die sie hier ergeben, zu reden. Niemand erwartet, dass man stundenlang vor dem Fernseher sitzt und die Sondersendungen guckt. Dann läuft man über. Aber es gibt gerade kein Thema in NRW, das die Menschen mehr beschäftigt. An dem sie mehr Anteil nähmen.

3. Nein, diese ganzen Spekulationen und Grenzüberschreitungen brauche ich auch nicht und will sie auch nicht. Da kotz ich!

4. Aber bitte: keine pauschale Medienschelte! Ihr Medienkritiker, die ich euch aufmerksam und interessiert lese und zuhöre, die ihr oft wichtige Thesen aufstellt und Denkanstöße gebt: Schmeißt nicht alle in einen Topf! Nennt Ross und Reiter!

5. Ihr Wutbürger hier bei facebook, denen die Berichterstattung schon am ersten Tag zu viel war, die Tiraden auf die „Lügenpresse“, die „Scheißjournallie“, die „Schmeißfliegen von den Medien“ losließen: Was seid ihr für kleingeistige, empathiearme, undifferenzierte Würstchen! Dann guckt einfach was anderes oder lest ein Bu… nee, das würd euch wahrscheinlich überfordern.

6. Wenn mir eine Redaktionsassistentin heute Abend erzählt, dass sie allein heute Nachmittag mit fünf Zuschauer_innen telefoniert hat, die sich weinend für die menschliche, angemessene, empathische, plastische Reportageleistung unserer Aktuelle Stunde-Kollegin Astrid Houben aus Haltern bedanken, dann bin ich froh, dass Menschen unsere Arbeit so wahrnehmen. Und freue mich, dass wir offenbar den richtigen Ton treffen.

7. Es ist zynisch, den Offiziellen, vor allem den Politiker_innen, Heuchelei und Beileidstourismus zu unterstellen. Ich habe Hochachtung vor Halterns Bürgermeister Bodo Klimpel, der gerade einen Albtraum durchmacht und auf eine zutiefst menschliche Art vor den Bürgerinnen und Bürgern seiner Stadt steht, die Schüler und Angehörigen abschirmt, indem er sich der Presse und damit der Öffentlichkeit stellt. Auch Hannelore Kraft wirkte auf mich einfach menschlich tief betroffen. Und da ist es gut und richtig, dass sie demonsrativ an der Seite der Angehörigen stehen. Denn auch Politiker sind in erster Linie Menschen. Wer das anzweifelt, hält sich wohl für was Besseres. Ätzend!

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